Marko Maque und LVZReportage aus dem Tageshospiz

"Wir sind nicht zum Sterben hier"

Seit im Februar das Tageshospiz eröffnete, ist in den Erweiterungsbau Leben eingezogen. Inzwischen ist der Besuch dort für einige Gäste zum Ankerpunkt im Alltag geworden. "Wir sind hier, um schöne Tage zu erleben", berichtet etwa Mario Maque, Gast der ersten Stunde, dem Reporter der Leipziger Volkszeitung.  Lesen Sie hier den ganzen Bericht von Valentin Dreher:

Das Ziel des Spaziergangs ist der Südfriedhof. Mario Maque, Katrin Koegel und Ina Vogel haben ihn aus zwei Gründen gewählt. Zum einen, weil sich auf den Bänken in der Sonne, am schönsten Frühlingstag der Woche, ganz wunderbar Tee trinken lässt. Ihre Pflegerin hat ihn in einer Thermoskanne mitgebracht. Und zum anderen, weil man sich dort, zwischen Trauergesellschaften und Grabsteinen, am besten über den eigenen Tod unterhalten kann. Maque (52 Jahre), Koegel (40), und Vogel (37) sind viel zu jung zum Sterben. Doch sie alle haben Tumore, im Kopf, in der Brust. Deshalb sind sie seit Anfang März Gäste im neuen Tageshospiz Villa Auguste, das am 1. Februar unweit des Völkerschlachtdenkmals eröffnet wurde. Gäste, keine Patienten, das betonen hier alle immer wieder, weil es im Hospiz nicht darum gehe, geheilt zu werden. Sondern darum, noch viele schöne Momente zu erleben, gemeinsam.

Momente wie den auf der Parkbank, von dem die drei später berichten. Wo Maque davon erzählt hat, dass er seine Beerdigung schon akribisch geplant hat, ohne dass die anderen ihn mitleidig anschauen und instinktiv zusammenzucken. Von der Urne, die das Wappen seiner Lieblingsstadt an der Ostsee tragen soll, und dem Schwarz-Weiß-Foto, das ihn genauso zeigen soll, wie er sich selbst sieht: nachdenklich und manchmal ein bisschen traurig. Dort im Park, auf der Bank in der Sonne, hat Maque einen Zweig mit vier kleinen Tannenzapfen gefunden. „Eine göttliche Fügung“ nennt er das, schließlich haben die Zapfen auf dem Zweig gesessen wie die drei Gäste und die Pflegerin auf der Parkbank. Sie haben den Zweig mit ins Hospiz genommen, doch hier angekommen, ist ein Zapfen abgebrochen gewesen.

„Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagt Maque. Seit drei Jahren kennt er seine Diagnose, einen Hirntumor. Die Hälfte der Zeit war er in Chemotherapie. Der Tumor blieb. „Ich bin eher traurig darüber, was ich alles nicht mehr erleben kann.“ Viele Stunden habe er an seinem Küchenfenster in Altenburg gesessen und in den Himmel gestarrt. Dann hörte er von dem neuen Tageshospiz in Leipzig. Mit seiner Frau fuhr er zum Tag der offenen Tür. Einen Monat später war er der erste Gast der Einrichtung. Ina Vogel und Katrin Koegel kamen einige Tage später dazu.

Sachsens erstes Tageshospiz ermöglicht selbstbestimmtes Leben

Das Tageshospiz Villa Auguste ist das erste seiner Art in Sachsen. Es ist darauf ausgelegt, den Gästen möglichst viel Selbstbestimmtheit zu erhalten. Alle von ihnen haben Familie, zu der sie abends heimkehren. Katrin Koegel sagt: „Ich habe dann immer total viel von meinem Tag zu erzählen.“ Und Mario Maque: „Wir sind hier, um schöne Tage zu verbringen, nicht, um zu sterben.“ Jetzt sitzen die Gäste und die zwei Pflegerinnen im Aufenthaltsraum des Hospizes neben der modernen Kücheninsel, an dem Esstisch mit dem bunten Osterkranz, den Ina Vogel gebastelt hat. Die sechs spielen Skip-Bo, es gewinnt, wer all seine Karten loswird. Koegel schafft das als Erste. Dann legt Maque ein Dutzend Karten auf einmal ab, Zweiter. „Der Verlierer muss zehn Liegestütze machen!“, ruft Maque. Er lacht, es ist ein gluckerndes, ansteckendes Lachen. In diesem Moment wirkt er kein bisschen traurig.

Zum Mittagessen gibt es Zanderfilet, frisch gekocht im Haus, zum Nachtisch eine goldenfarbene Götterspeise mit Vanillesauce. „Die sieht ein bisschen aus wie ein Glas Bier“, sagt Maque. Pflegerin Meier, die hier alle nur Schwester Susanne nennen, antwortet: „Es wäre auch in Ordnung, wenn ihr nachmittags mal ein Bier trinken wollt.“ Warum denn auch nicht? Im letzten Lebensabschnitt ist alles erlaubt, was Spaß macht und Schmerzen lindert.

Die Pflegerinnen nehmen sich viel Zeit

Dieser Ansatz ist auch für die beiden Pflegerinnen neu. Schwester Susanne arbeitete bis 2017 auf der Intensivstation, wo es darum geht, den Tod mit allen Mitteln zu verhindern. Und nicht darum, seinen Frieden mit ihm zu schließen. Manchmal starb dort trotzdem ein Mensch. „Aber auf der Intensivstation ist keine Zeit zum Sterben.“ Schwester Heidi, die eigentlich Heidi Wolter heißt, bildete bis vor kurzem Pflegekräfte aus. Doch seitdem die Schülerinnen und Schüler in zwei Jahren neben der Kranken- noch die Alten- und Kinderpflege lernen sollen, gefällt ihr die Ausbildung nicht mehr. Im Tageshospiz hingegen nehmen sich die Pflegerinnen für alles viel Zeit.

Nur einmal kommt das hastige Tempo der Gesundheitsbranche an diesem Tag durch die Tür des Tageshospizes. Zwei Männer in blauen Arbeitshosen vom Krankentransport, sie wollen einen Gast abholen, und zwar möglichst sofort – eine Stunde früher, als vereinbart. Da hatte sich der ältere Herr gerade erst in einem der beigen Ohrensessel niedergelassen, um Mittag zu essen. Schwester Heidi runzelt die Stirn und sagt leise: „Das gefällt mir gar nicht.“ Zwei Stunden später wird auch Maque abgeholt, ein Taxifahrer aus Altenburg wartet geduldig vor dem Haus auf ihn. Schwester Heidi gibt ihm noch eine feste Umarmung. Als Maque mit dem Taxi weggefahren ist, sagt sie: „Es ist wichtig, dass wir uns jeden Tag richtig verabschieden.“ Schließlich könne sich Maques Zustand über das Wochenende so sehr verschlechtern, dass er am Montag nicht mehr wiederkommen könne. „Irgendwann“, sagt sie, „wird er nicht mehr bei uns sein.“

So sieht der Alltag im Tageshospiz Villa Auguste aus: LVZ-Fotograf Felix Posner hat das Zusammenleben im Tageshospiz Villa Auguste in Leipzig einen Tag lang begleitet. LVZ-Bildergalerie Tageshospiz

Das Tageshospiz Villa Auguste hat noch freie Plätze. Voraussetzungen für die Aufnahme sind eine lebensbedrohliche Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung und eine ärztliche Verordnung. Die Kosten für die Betreuung übernehmen zu 95 Prozent Kranken- und Pflegekassen, der restliche Teil wird mit Spenden finanziert. Somit ist das Tageshospiz für die Gäste kostenlos.

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Hospiz Villa Auguste Leipzig

Kommandant-Prendel-Allee 106
04299 Leipzig

Tel:  0341 / 86 31 830
Fax: 0341 / 86 31 8359

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Geschäftsführerin und Hospizleiterin
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Marie Siebert web

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Marie Siebert

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