C.F. Goerdeler - Gartenhausgespräch zum Welthospiztag
… weil Sterben (k)eine Glaubensfrage ist - das Lebensende betrachtet aus Sicht verschiedener Weltanschauungen
Ein neues Veranstaltungsformat von Hospiz Villa Auguste und Hospizverein Leipzig hatte neulich Premiere, das „Goerdeler-Gartenhausgespräch“. Ort ist unser 2019 anstelle des alten Gartenhauses errichtete Seminar- und Begegnungszentrum. Benannt wurde es nach Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945), dem Großvater unseres Schirmherren Berthold Goerdeler (†15.2.2024 in München). Dieser war Oberbürgermeister Leipzigs und widerstand auf Grund seiner humanistischen Überzeugungen dem NS-Regime, welches ihn schließlich ermordete. Die großen gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit sollen nun nicht zuletzt in seinem Sinne in loser Reihenfolge zur Sprache kommen.
Da unsere Einrichtung kürzlich der „Charta für Vielfalt“ beigetreten ist, die anlässlich des Welthospiztags 2024 unter dem Motto "Hospiz für Vielfalt" einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, stellen wir nun die entsprechenden Themen in offenen Abenden vor. Vier Persönlichkeiten aus der Leipziger Stadtgesellschaft sprachen zum Auftakt eindrucksvoll über ihren Glauben und die Relevanz von Religion bzw. Weltanschauung am Lebensende.
Als erstes vertrat Fabian Schmidt die atheistischer Sicht. Der ehemalige Philosophiestudent, jetzt im IT-Bereich arbeitende Familienvater legte eine strikt am Individuum und dessen persönlicher Würde orientierte, ansonsten wissenschaftlich-materielle Sichtweise dar. Am Ende solle dem Menschen ein Sterben in Würde ermöglicht werden. Was nach dem Tod bleibt sind die Erinnerungen der Angehörigen und Freunde sowie Werke, die geschafften wurden. Also ist beim Sterben "ohne Gott" wichtig, diese zu bewahren. Das Sterben und der Trauerprozess danach sollten nicht von religiösen Vorschriften beeinflusst werden.
Eta Zachäus, Leipziger Jüdin, ist als Kind von Holocaustüberlebenden „mit dem Tod aufgewachsen“ und hat nicht nur als dreifache Witwe eine enge persönliche Beziehung zum Thema. Die Grafikerin ist Sonderbeauftragte für jüdische Friedhöfe und Mitglied der Chewra Kadischa (Heilige Beerdigungsgesellschaft), die sich während dem Sterben und nach dem Tod eines/einer Gläubigen um essenzielle Dinge wie die Totenfürsorge, Beerdigung und Trauerzeremonien kümmert. Sie stellte ihre Glaubenspraxis und deren Relevanz dar sowie ihre Arbeit auf den jüdischen Friedhöfen. Durch diese sehr lebensnahe Trauerbegleitung kann den Menschen gut geholfen werden und solch eine (religiöse) Institution sei sehr hilfreich. Ob es schädlich für die gesellschaftliche Integration ist, dass die Totenkultur zwischen den Religionen und atheistischen Gruppen so getrennt ist, verneint sie.
Bei Yunus Güns Erläuterungen bekamen die Anwesenden ebenfalls einen lebhaften und tief bewegenden Einblick in den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in der islamischen Glaubenstradition. Der Osteopath und dreifache Vater hat unter anderem berichtet, dass die Gläubigen „ein wunderschönes Bild im Herzen tragen, dass man seine verstorbenen Lieben am Himmelstore wiedersehe“. So sind im Islam verstorbene Kinder die Vertreter der Eltern und führen diese ins Paradies/ in den Himmel ein. Man könne vom Islam lernen, den Tod als ständigen Begleiter zu sehen, gar als Freund, welcher der erste und am längsten bleibende sei. Auch in der Alltagssprache ist er omnipräsent „…wenn wir nicht sterben, dann …“. Das tägliche Gebet schließt immer den „friedlichen Tod“ mit ein. Was den Tod selbst betrifft ist er pragmatisch, sieht es als Privatsache und erwartet nicht, dass Institutionen da Einfluss nehmen. Lebenserhaltende medizinische Maßnahmen sind nur bis zu einem bestimmten Grad gerechtfertigt.
Pfarrer in Ruhe Christian Wolff sprach in seinem Impuls vom Tod als der natürlichsten Sache der Welt und gleichzeitig der größten Katastrophe, mit welchem der zweifache Witwer privat und beruflich mehr als vertraut ist. Wie Frau Zachäus war er sehr unbestimmt in der Vorstellung davon, was nach dem Tod kommt - "Wir wissen es nicht.“ Aber Christen wie Juden sei es sehr wichtig, dass die Namen eines/einer jeden Verstorbenen sichtbar vermerkt werden und der Trend hin zur anonymen Bestattung sei alarmierend, da entmenschlichend. Dass ein Christ auf die drei existenziellen Fragen: Woher komme ich? Wozu lebe ich? Wohin gehe ich? jeweils mit Gott antworten kann lasse ihn beides gewinnen: Lebensgewissheit, Lebensfreude und Trost – und zwar sowohl als Mensch, der den Tod fürchtet, wie als Mensch, der um vergangenes Leben trauert.
In der folgenden Fragerunde, weiterhin moderiert durch Mathematikstudent Paul Bräutigam von der Leipziger Debattier- & Disputations-gesellschaft e.V., herrschte Einigkeit, dass lebenserhaltende Maßnahmen nicht verlängert werden sollen, wenn sie hoffnungsarm sind und Schmerzen verursachen. Palliativmedizin befürworteten alle sehr vehement, Sterbehilfe lehnten sie bis auf die atheistisch/humanistische Stimme ab. Alle haben davon berichtet, die wahre Bedeutung des Sterbens erst durch den Tod von Liebsten gelernt zu haben.
Scheinbar hat dieser offene Abend die Anwesenden erreicht, die mit leichteren Herzen gegangen als gekommen sind. Es war ein gelungener Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe, welche ihre Fortsetzung voraussichtlich am 20. März 2025 finden wird. Dann widmet sich das Gartenhausgespräch wieder einer der sieben Dimensionen aus der Charta für Vielfalt. Diskutiert wird das Thema „… weil der Tod nicht nach der Herkunft fragt. Das Lebensende und die soziale Dimension.“
Den Impuls von Pfarrer i.R. C. Wolff finden Sie hier.